Pressemitteilung Nr. 300/07, 27.11.2007

„Wer den Ausstieg aus der Braunkohle fordert, der muss auch sagen, woher die Energie kommen soll!“

Versuch einer Antwort auf den „Offenen Brief des Netzwerkes Klinger Runde"

Liebe Bürgerinnen und Bürger, 

der mögliche Aufschluss neuer Tagebaue bestimmt die politische Diskussion seit Wochen im Landkreis - das war zu erwarten und ist verständlich. Um so mehr, da sich alle möglichen Neuaufschlüsse im Landkreis Spree-Neiße befinden und sich allein schon daraus eine besondere Betroffenheit ableitet, zumal die Fortführung des Tagebaus Welzow bereits beantragt ist und sich im Planverfahren befindet. 

Ganz besonders betroffen sind die Einwohnerinnen und Einwohner von Proschim, Atterwasch, Kerkwitz, Grabko und teilweise von Welzow, denn bei einer Genehmigung der bergbaulichen Inanspruchnahme macht sich eine Umsiedlung dieser Ortschaften notwendig. Dieser Prozess wird Jahre in Anspruch nehmen und noch viele Emotionen wecken. Auch das ist verständlich, denn persönliche Betroffenheit braucht auch ein Ventil. 

Wie die Vergangenheit bei den Auseinandersetzungen um die Umsiedlungen von Kausche, Horno und Haidemühl im Landkreis Spree-Neiße gezeigt hat, geht es trotz aller Appelle auch nicht immer fair zu. Als Politiker stellt man sich darauf ein und muss es auch aushalten. Gestatten Sie mir dennoch einige Bemerkungen zu den Ereignissen der letzten Wochen und speziell zum „Offenen Brief des Netzwerkes Klinger Runde“, der auch mich erreichte. 

Zuallererst möchte ich all denjenigen, die direkt betroffen sind von möglicher Umsiedlung, ehrlichen Herzens versichern, dass ich ihre Sorgen, Ängste und ihren Ärger verstehe. Natürlich können alle Entschädigungen nicht bis ins Letzte ausgleichen, was da an seelischer Belastung, an Verzicht und Identitätsverlust auf sie zukommen wird! Vor diesem Hintergrund sind deshalb auch alle aufgerufen, sich dem Thema mit der notwendigen Sensibilität zu nähern und Gespräche und Diskussionen rücksichtsvoll zu führen. 

Ich weiß, es wird Ihnen kein Trost sein – dennoch bleibt festzuhalten, dass der Aufschluss eines neuen Tagebaus und eine mögliche Umsiedlung nicht willkürlich geschehen, sondern das Ergebnis eines rechtsstaatlichen Planungsverfahrens sind, welches jederzeit auch gerichtlich überprüft werden kann. Niemand - erst recht und zum Glück auch kein Landrat - hat auf dieses Verfahren Einfluss! 

Egal, welche Einstellung ich persönlich habe, ob ich die Löcher in der Erde meines Landkreises nun gut oder schlecht heiße: Ich kann weder einen neuen Tagebau eröffnen noch kann ich ihn verhindern! Und ich persönlich ziehe auch keinerlei Nutzen daraus, ob ich nun das eine oder das andere unterstütze! Manche möchten diesen Eindruck gern erwecken, und in jedem anderen Falle würde mir eine solche am Stammtisch oder in der Presse vorgenommene „Machtzusprechung“ vielleicht sogar ein klein wenig schmeicheln – aber eben nicht bei einem solchen Thema, wo es um persönliche Existenzen geht! Insofern bin ich – und auch jede andere Einzelperson! – als Feindbild und „Buhmann“ nun wirklich gänzlich ungeeignet! Gleichwohl wird es von interessierter Seite immer wieder gepflegt: in Leserbriefen, Radio-Werbespots, am Stammtisch und bei Unterschriftenaktionen. Ich kann nicht sagen, dass mir das gefällt, aber so ist es nun mal, wenn jedermann (öffentlich) seine Meinung äußern darf, wenn oberflächlich recherchierte Beiträge in der Presse erscheinen oder sich schlecht informierte Bürger an die Spitze von Bürgerinitiativen setzen ... Das muss ich als Politiker aushalten. 

Was mich aber extrem ärgert, ist die Tatsache, dass man bei einer rechtsstaatlich beschlossenen und durchgeführten Umsiedlung das Wort „Vertreibung“ benutzt und im gleichen Zusammenhang meinen Namen mit dem Untersatz „Vertreiber“ in großen Lettern auf ein Transparent schmiert. Wer dies tut, ignoriert, dass der Begriff der Vertreibung in der deutschen und europäischen Nachkriegsgeschichte besetzt ist. Derjenige vergeht sich an drei Millionen Sudetendeutschen (zu denen im übrigen auch meine Eltern gehörten), die als Folge des von den Nazis begonnenen Weltkrieges aus ihrer Heimat vertrieben wurden - innerhalb von einer halben Stunde mit 30 kg Handgepäck! Ein solches Wort in oben genanntem Zusammenhang ist schlimmes Unrecht! Das macht mich wirklich zornig und bestätigt mir, wie ernst die Leute zu nehmen sind, die sich derartigen Vokabulars bedienen, denn sie wissen bestenfalls nicht, was sie tun. 

In unserer demokratisch verfassten Gesellschaftsordnung kann natürlich jeder tun und sagen, was er will, so lange dies auf der Basis des Grundgesetzes geschieht und den Gesetzen der BRD nicht entgegensteht - und das ist ja auch gut so. Gleichwohl halte ich es für wesentlich besser, für intelligenter und überzeugender allemal, wenn sich Initiatoren und Wortführer vorab informieren und dann auch wissen, was sie tun und worüber sie reden!

Verehrte Bürgerinnen und Bürger, 

wer den Ausstieg aus der Braunkohle und deren Verstromung durch das Auslaufen der vorhandenen Tagebaue und Kraftwerke fordert, der muss auch sagen (können), woher die Energie kommen soll, die unsere Gesellschaft am Leben hält! Aber dies bitteschön mit belastbaren Aussagen! Also ohne Illusionen und ohne Wunschdenken, das heißt ohne Atomstrom, ohne Steinkohlebergbau und ohne die Konsequenz, dass die BRD abhängig wird von Öl- und Gaslieferungen aus unsicheren Drittländern. Derjenige sollte uns sagen, wer oder was in der Grundlastversorgung, also in der kontinuierlich zur Verfügung stehenden Energie, die Atomenergie und die Energie aus Braunkohle ersetzen soll. 

Im Landkreis Spree-Neiße läuft seit Monaten die Vorbereitung für den Bau einer 20 MW Biogasanlage. Wird sie erst einmal ihren Betrieb aufgenommen haben, wird sie 0,42 % (!) der Leistung der beiden Kraftwerke Jänschwalde und Schwarze Pumpe erzeugen. Um diesen äußerst geringen Anteil der Energie aus gegenwärtiger Kraftwerksproduktion zu ersetzen, benötigt man allein
300.000 t Maissilage, 20.000 t Roggen und 60.000 t Gülle! Um wiederum diesen Mais anzubauen, braucht man 10.000 ha Ackerland und für den Roggen noch einmal 7.000 ha! 

Nur mal zum Vergleich: Für Futter- und Lebensmittelzwecke wurden im Landkreis Spree-Neiße in diesem Jahr auf 5.156 ha Mais und auf 8.606 ha Roggen angebaut. Wenn man also selbst die gesamte Ernte unseres Landkreises zur Erzeugung von Biogas verwenden wollte, würde beim Mais immer noch die Hälfte für die Erzeugung von 20 MW fehlen. - Und was, bitte, fressen dann unsere Kühe und womit backen wir unser Brot? Und was passiert bei einer Missernte infolge schlechten Wetters, was nach Acker- und Ödlandbränden, die wir in diesem Sommer ja auch in erheblichem Maße hatten? Und das alles für 0,42 % der Energiemenge, die unsere beiden Kraftwerke derzeit produzieren?! Ist das nicht unfassbar? 

Bekanntlich ist der „Regionalplan Wind“ von Gericht für ungültig erklärt worden. Das hat eine Neuausweisung von sogenannten Windeignungsgebieten zur Folge. Auf Verlangen von Umweltverbänden und Bürgerinitiativen wird dies wiederum dazu führen, dass sich die Abstände von Windkraftanlagen zu Wohnbebauungen von 500 m auf 1.000 m erhöhen werden. Logische Schlussfolgerung: Es wird weniger neue Windkraftanlagen geben. 

Auch Sonnenenergieanlagen lösen nicht nur Freude aus. Um die örtlich punktuelle Stromerzeugung eines Kraftwerkes gleichwertig zu ersetzen, würde man für die Solarenergieproduktion riesige Flächen benötigen und damit zwangsläufig weite Teile der Landschaft in Anspruch nehmen. Und nur mal angemerkt: Inzwischen gibt es ja auch schon Umweltverbände, die negative Auswirkungen der Sonnenkollektoren auf den Vogelzug ausmachen ... 

Betrachtet man dann noch die Energiebilanz, die sich ergibt, um 1 kW/h zu erzeugen, sind die möglichen Erfolge zu Gunsten des Klimaschutzes mehr als zweifelhaft. 

Liebe Bürgerinnen und Bürger, 

... ganz ehrlich: Glaubt wirklich jemand von Ihnen, dass wir mit dem Auslaufen unserer drei modernen Lausitzer Kraftwerke Boxberg, Jänschwalde und Schwarze Pumpe das Weltklima und „den Regenwald retten“? Ist nicht eher doch das Gegenteil der Fall? Dass nur produzierende Kraftwerke und ihr daraus erzielter Gewinn die Gewähr bieten, für den Umweltschutz einen Beitrag zu leisten, indem damit etwa die Forschung zur CO²-Minimierung und CO²-Lagerung finanziert und diese Technik dann weltweit zum Einsatz gebracht wird? 

Eigentlich mag ich es ja gar nicht mehr anführen, das Argument, das in dieser schwer gebeutelten Region jeder kennt, das wahrscheinlich aber nur noch Wenige hören und noch Weniger achten können: die wegfallenden Arbeitsplätze und der Ersatz, der dann her müsste. Denn wer da sagt, dass dies zu kompensieren sei, der irrt! Oder aber, der sollte mir sagen, wie und durch wen. 

Ein anderes Argument, dem man sich bei einer ehrlichen Abwägung des Themas auch nicht verschließen kann: Strom muss auch in der Zukunft bezahlbar sein – das wollen wir doch alle, oder? Und? Kennen Sie auch die Preise? – Ich werde sie Ihnen sagen: 
1 MW/h 
aus Braunkohle kostet: 24,71 bis 27,52 EUR 
aus Biogasenergie:            58,45 bis 104,71 EUR
aus Windenergie:            66,25 bis 88,33 EUR 
und aus Sonnenenergie:            380,00 EUR. 

Interessant, nicht wahr? Wofür entscheiden Sie sich? Für die sonnenproduzierte Energie? Oder für die niedrigsten Kosten, weil wir ohnehin schon ständig steigende Preise für Lebensmittel hinnehmen müssen, weil es dem Bauern mittlerweile mehr Geld bringt, Mais und Roggen an Stromerzeuger abzugeben als es für Viehfutter und zum Brotbacken zu verwenden? 

Betrachtet man all das, dann gibt es, realistisch gesehen, nur einen Weg: den des Energie-Mixes! Und das schließt eben auch das Fortbestehen des Braunkohleabbaus mit all seinen unausweichlichen und auch unschönen Folgen mit ein.

Mehr als zweifelhaft ist für mich auch der Begriff des „Heimatverlustes“ durch einen möglicherweise erzwungenen Umzug innerhalb der Region. Ich frage Sie: Führt nicht viel eher der Wegfall des Arbeitsplatzes oder das Nichtvorhandensein eines solchen im Heimatdorf oder der näheren Umgebung zum „Verlust der Heimat“? Weil diejenigen, die ihre Familie ernähren, ihren Kindern etwas bieten möchten, in einem solchen Falle lieber wegziehen würden? Und das selbst dann, wenn man ihnen dafür keinen finanziellen Ausgleich anbietet? Nur, um sich ein Stück des Lebensstandards aufzubauen, von dem sie als Kind schon geträumt haben? – Ich, jedenfalls, kenne einige Familien, die aus diesem Grunde schwermütig der Heimat den Rücken gekehrt haben - und die ganz sicher - glauben Sie mir! - einen vom Energieunternehmen finanzierten Umzug und einen Ausgleich materieller Verluste in Kauf genommen hätten, wenn sie nur hier weiter hätten arbeiten dürfen! 

Liebe Einwohnerinnen und Einwohner, 

wer die Hoffnung nährt, durch massiven Widerstand und Unterschriftenlisten Tagebauaufschlüsse und Umsiedlungen verhindern zu können, der muss auch darauf vorbereitet sein, ganz am Schluss in enttäuschte Gesichter zu schauen. Weder in Kausche noch in Horno, Haidemühl, Hoyersdorf, Garzweiler oder sonst wo waren die Umsiedlungen zu verhindern. Das sind die Fakten, denen sich die Wortführer solcher Initiativen stellen sollten. Fatal, wenn man diese ignoriert – und noch schlimmer, wenn man die Hoffnungen und die Gefühle der Betroffenen nur wegen seines eigenen Egos, wegen persönlicher Wichtigtuerei oder politischer Rattenfängerei missbraucht. 

Ich als Landrat sehe meine Aufgabe an anderer Stelle. Ausgestattet mit dem Auftrag des Kreistages des Landkreises Spree-Neiße will eine von mir geführte Verhandlungsgruppe das Gespräch mit Vattenfall und der Landesregierung suchen, um die unstrittig vorhandenen Mehrbelastungen infolge der Neuaufschlüsse von Tagebauen, von Umsiedlungen, von Natureingriffen in der Region auf anderer Seite honorieren zu lassen und damit in ihrer Gesamtheit ein klein wenig abzuschwächen. Diese Verhandlungen ersetzen keine Gespräche der unmittelbar Betroffenen mit Vattenfall. Sie sind der Versuch, die Landesregierung und Vattenfall auf Grund der besonderen Situation für den Landkreis und die Stadt Cottbus noch mehr als bisher in die Verantwortung zu nehmen. Für dieses Vorhaben erfahre ich breite Zustimmung. Diese Gespräche, zu denen wir uns bereits vier-, fünfmal getroffen haben, führen wir mit dem gebotenen Ernst und im Wissen um die Bedeutung der Braunkohle für unsere Heimat. 

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, 

in dieser für alle Beteiligten wirklich schwierigen Situation würde es gut tun, gingen alle fair und sachlich miteinander um. Solchen sachlichen Diskussionen stelle ich mich jederzeit und an jedem Ort. Tribunale und persönliche Verletzungen aber bringen uns nicht weiter! Und am wenigsten nützen sie den Menschen in Atterwasch, Kerkwitz, Grabko, Proschim und Welzow! 

Gestatten Sie mir zum Abschluss noch ein paar persönliche Bemerkungen: Wissen Sie, ich habe mir diese aktuelle politische Situation nicht ausgesucht; es gibt sicher erfreulichere Dinge. In meiner mehr als 17-jährigen Tätigkeit als Landrat in Brandenburg aber bin ich noch nie vor Problemen davon gelaufen. Gelernt habe ich auch, dass man mit Polemik, Halbwahrheiten, persönlichen Anfeindungen und durch Unsachlichkeit kein einziges Problem löst. 

Als Landrat des Landkreises Spree-Neiße fühle ich mich für alle Bewohner innerhalb der Kreisgrenzen verantwortlich und wie hoffentlich jeder weiß, vor allem für jene, die Hilfe brauchen. Ich betone es noch einmal: Ich bin jederzeit gern bereit, mich in sachlicher und fairer Atmosphäre über dieses Thema zu unterhalten und nach Unterstützung und Lösungen zu suchen. Und ich würde mich freuen, wenn ich Gleiches von allen anderen auch erwarten dürfte! 

Ihr 
Dieter Friese 
Landrat des Landkreises Spree-Neiße


Pressestelle Landkreis Spree-Neiße
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