Pressemitteilung Nr. 181/07, 06.07.2007

Aus der Rede des Landrates vor dem Kreistag am 04.07.2007

Zur Braunkohlestudie der Technischen Universität Clausthal

Meine Damen und Herren,
... ganz gewiss ist Ihnen ein Thema in den letzten Wochen nicht verborgen geblieben – viel zu heftig wurde darüber diskutiert, gestritten, gemutmaßt. Die Braunkohlestudie der Technischen Universität Clausthal, in Auftrag gegeben durch das Landesbergamt Brandenburg, hat in den letzten Wochen für all diesen Wirbel gesorgt!
 
Im Gegensatz zu anderen Stimmen halte ich deren Veröffentlichung für hilfreich. Nun kann man sich lebhaft darüber streiten, ob die Form der Veröffentlichung glücklich war, ob man nur die Bereiche hätte nennen sollen, die tatsächlich in absehbarer Zeit abgebaggert werden. Das trifft aber nicht den Kern des Problems und ist nur die hilflose Suche nach einem vermeintlichen Strohhalm, um sich vor Entscheidungen drücken zu können.
 
Die Ehrlichkeit gebietet es, sich der Diskussion auf der Grundlage der Verfügbarkeit der Lagerstätten zu stellen. Die sind nicht neu, aber vielfach vergessen. Beziehungsweise wurde die Hoffnung genährt, dass es keine weiteren Devastationen mehr geben würde.
 
Das Prekäre an der neuen Situation ist, dass mehr als 20 (!) Ortschaften des Landkreises Spree-Neiße in potentiellen Abbaugebieten der Bonität A Variante 1 liegen und diese Tatsache ist ein akutes Problem!
 
Etwa 2020 laufen Tagebau und Kraftwerk Jänschwalde aus. Um für beides Ersatz zu schaffen, ist es planungsseitig bereits fünf nach zwölf, denn ich gehe davon aus, dass die Bundesrepublik auf die Energiekapazität aus Braunkohle nicht verzichten kann und der Vattenfall-Konzern nicht auf die Gewinnaussichten eines neuen Kraftwerkes der CO²-freien Generation verzichten wird!!
Ein solches Kraftwerk ist Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit in der Zukunft, und außerdem auch für ein weltweites Klimaschutz-Engagement!
 
Zur Zeit und in Zukunft werden weltweit Kohle-Kraftwerke gebaut. Allein in China geht jede Woche ein neues Kraftwerk auf Braunkohlebasis ans Netz, die - nimmt man das CO²-Problem ernst - alle umgerüstet werden müssten! Das ist nicht nur ein Umweltproblem, sondern ein weltweit einsetzbarer Wirtschaftsfaktor! Wenn der CO²-Ausstoß in die Atmosphäre technisch also beseitigt ist, gibt es erst recht keinen Hinderungsgrund mehr, Braunkohlelagerstätten nicht auszubeuten!
 
Wer also den Betroffenen die fortwährende Unantastbarkeit ihrer Ortschaften verspricht, handelt zumindest unredlich! Mehr noch: Wer die Illusion schürt, organisierter Widerstand könnte zum Erfolg führen und die Umsiedlung eines betroffenen Ortes verhindern, der wird früher oder später einmal verantwortlich sein für hundertfach enttäuschte Hoffnungen und emotionale Verletzungen! Die Beispiele von Umsiedlungen der letzten Jahre allein in unserem Landkreis – ich sage nur Kausche, Horno und Haidemühl – sind dafür exemplarisch!
 
Gleichzeitig warne ich eindringlich davor, auf dem Rücken von Betroffenen parteipolitische Spiele der Profilierung zu betreiben! Wir sollten uns gemeinsam mit all unserer Kraft auf das politisch, wirtschaftlich und juristisch Mögliche konzentrieren!
 
Die Umsiedlungen der letzten Zeit haben rechtssichere Wege geebnet, die man gehen wird, wenn man sie gehen will - und man wird sie gehen müssen! Wenn dies aber so kommt, wird man im Vorfeld über Voraussetzungen und Folgen reden müssen, um weitestgehend Akzeptanz zu schaffen! Dabei geht es nicht etwa gegen den Bund, gegen das Land oder gegen Vattenfall. Ich möchte vielmehr, dass mit diesen Partnern gemeinsam eine neue Sichtweise auf die Situation in der Region zwischen Spree und Neiße erfolgt, die entsprechende Reaktionen und Ergebnisse nach sich zieht. Das fängt bei der Betrachtung der Situation der Sorben/Wenden an. Ich habe gelernt, dass in den vergangenen Jahrzehnten vor der Wende deren Dörfer devastiert wurden - ohne Rücksicht auf den Bestand und die Überlebensaussichten dieser Minderheit! In der nach wie vor sich verschärfenden, sensiblen Situation ist für deren Existenz ein fortdauerndes Hin- und Herziehen nicht gerade hilfreich! Für Außenstehende mag das das kleinste Problem sein; für die Betroffenen in den zur Zeit noch funktionierenden Gemeinschaften ist dies jedoch ein großes! Über diese Tatsache wird man deshalb nicht nur reden, sondern dafür vor allem Lösungen finden müssen!
 
Lösungen brauchen wir auch für die Probleme, die sich nun durch die neu aufzuschließenden Tagebaue ergeben! Und zwar Lösungen, die unsere Region auch wirtschaftlich wieder so anziehend machen wie vor Jahrzehnten! Das ist nicht die Aufgabe eines Einzelnen, sondern eine Gemeinschaftsaufgabe. Gelingt das nicht, muss allen bewusst sein, dass der soziale Frieden dieser Region in Gefahr ist ...
 
In den zurückliegenden Jahrzehnten zog die Förderung der Braunkohle und ihre Verstromung, ihre Nutzung für andere Wirtschaftszweige Zehntausende aus allen Teilen der ehemaligen DDR in die Lausitz. Die Bedeutung ihrer Arbeit für die Wirtschaft, ihr Stellenwert für die Politik wurde unterstrichen durch bevorzugte Bereitstellung von Wohnraum und von Versorgungsgütern. Das hat sich grundlegend geändert! Was noch vor kurzem als Grundpfeiler wirtschaftlicher Entwicklung angesehen wurde, wird heute von „PROGNOS“ als nicht zukunftsfähiger und nicht innovativer Industriezweig eingestuft - und führt uns schließlich auf den letzten Platz des sogenannten „Zukunftsatlasses“. Weiter führt dies dazu, dass das öffentliche Empfinden noch immer geprägt wird von Begriffen wie „Dreckschleudern“ und „Umweltverschmutzern“, wenn über die Kraftwerke der Lausitz gesprochen wird. Das wiederum hält Investoren ab, überhaupt über mögliche Unternehmungen in dieser „Pampa“ nachzudenken. (Wer sich an diesem Begriff, so wie ich im Übrigen auch, stört, dem sei gesagt, dass der im Zusammenhang mit der seinerzeit nicht realisierten Ansiedlung eines namhaften PKW-Produzenten tatsächlich als Gegenargument gefallen ist.)
 
Das alles zusammen genommen, führt zum anhaltenden Wegzug junger Menschen, der Arbeit und sozialen Sicherheit hinterher. Dieser Teufelskreis schließt sich: die nicht so Beweglichen und die Älteren bleiben. Ein Fachkräftemangel in unserer Region verschlechtert die Lage also dadurch obendrein.
 
Das wirklich Paradoxe daran aber ist, dass die Energieversorgung für die Entwicklung der Wirtschaft nichts ... aber auch gar nichts an Bedeutung verloren hat! Eher wird sie in Zukunft exorbitant steigen. Boxberg, Schwarze Pumpe und Jänschwalde versorgen eine Fläche mit Elektroenergie, die größer ist als ganz Ostdeutschland!
 
Die Wichtigkeit des Ortes der Energieerzeugung dagegen nimmt mehr und mehr ab und wird als „schmuddeliger Kohlenkeller“ gesehen. Das kann nicht länger hingenommen werden!
 
Die Braunkohle als Energieträger der Zukunft - sicher als CO²-freier - wird an Bedeutung gewinnen! Atomkraft will man aus bekannten Gründen nicht in Deutschland. Öl und Gas sind endlich und werden darüber hinaus in oftmals politisch unsicheren Gebieten gefördert, und auch nachwachsende Rohstoffe oder alternative Energiequellen sind in ihrer Wirkung begrenzt. Länder, die heute Öl und Gas exportieren, werden sich in Zukunft größeren Begehrlichkeiten ausgesetzt sehen als bisher. Preissteigerungen und Rohstoffverknappung sind unausweichliche Folgen. Der Energiebedarf und die Wasserversorgung werden die Konflikte oder die Chance der Zukunft sein!
 
Erdölexportierende Länder haben durch diese naturgegebene Ressource in den letzten Jahrzehnten unermessliche Reichtümer angehäuft. Regionen wie die arabische Halbinsel haben eine erstaunliche Entwicklung wie aus „Tausend und einer Nacht“ genommen. Bei uns, die wir auch Energieträger ausbeuten (lassen), wird es eher nur „Nacht“: Wir gehören aktuell zu den Landkreisen in Deutschland mit den höchsten Arbeitslosenzahlen, dem auffälligstem Bevölkerungsrückgang, der größten Umweltzerstörung! Und haben dadurch das schlechteste Image.
 
Auf der anderen Seite macht der schwedische Staatskonzern Vattenfall im Jahr 2006 nach eigenen Angaben 1,35 Mrd. Euro Gewinn vor Steuern - und das ist auch für die Zukunft beachtlich. Der Verweis auf die Güte des Aufrechterhaltens von Arbeitsplätzen in der Kohle und Energie wird nicht mehr reichen! Sie sind doch wohl in erster Linie Mittel zum Zweck - und der Zweck ist Gewinn! Das ist ja auch nichts Verwerfliches. Ohne Gewinnaussichten hält kein Unternehmer seinen Betrieb aufrecht. Sentimentalitäten unsererseits sind daher fehl am Platz, wie auch die Preiserhöhungen für Elektroenergie der letzten Woche zeigen.
 
Energieversorgungssicherheit ist zuallererst Bundes- und Ländersache! Diesem Gesichtspunkt entspringt unser Anspruch auf eine besondere Fürsorge. Der Verweis auf die Finanzierung der Maßnahmen für die Rekultivierung verstümmelter Landschaften reicht für die Menschen der Region schon lange nicht mehr aus. Wir halten nicht einen Jugendlichen in der Lausitz mit dem Versprechen der Anstellung als Bademeister an Deutschlands größter Seenplatte - in bestenfalls 30 Jahren!
 
Die Akzeptanz zukünftiger Braunkohleförderung in der Bevölkerung mit den bisherigen Maßnahmen wird in der Zukunft nicht mehr ausreichen! Dass notwendig werdende Umsiedlungen sozial und finanziell großzügig gehandhabt und bezahlt werden, ist eine selbstverständliche Pflicht und keine Samaritergabe! Auch die Pflicht der Renaturierung ist eine Selbstverständlichkeit.
 
Was ich verlange, ist mehr!
Wenn Brandenburg und Berlin eine Ansiedlungsoffensive für die Umgebung des Flugplatzes BBI starten können, dann muss das erst recht für die Region Cottbus/Spree-Neiße möglich sein! Ich erwarte diesbezüglich außerordentliche Anstrengungen und vor allem messbare Ergebnisse für die Neuansiedlung kohle-unabhängiger Arbeitsplätze. Viele Menschen unserer Region müssen mit Umsiedlungen fertig werden, mit in Anspruch genommener Landschaft, mit zerstörter Umwelt. Dann muss es auf der anderen Seite aber einen vielfach höheren Ausgleich für die Allgemeinheit geben, unabhängig der materiellen Entschädigung für all diejenigen, die direkt von der Umsiedlung betroffen sind. Es muss deutlich werden: „Wir als Bund, als Land, als Unternehmen Vattenfall erkennen Euren Einsatz an, dafür gibt es eine wirtschaftlich bessere Zukunft durch innovative, zukunftssichere Arbeitsplätze – und dies mehr als anderswo!“ Dafür wird das kulturelle Leben gefördert, werden Theater wie in Cottbus gesichert, wird die soziale, kulturelle und medizinische Infrastruktur unter allen Umständen gehalten!
 
Wie der Bund und das Land Vattenfall in die wirtschaftliche und soziale Entwicklung unserer Region einbeziehen können und wollen, darüber wird zu diskutieren sein. Es kann aber nicht sein, dass mit dem Gewinn aus unserem Boden hauptsächlich das schwedische Sozialsystem finanziert wird! Die erhöhten Verpflichtungen aller „Nutznießer“ gegenüber unserer Region muss deutlicher und für die Menschen erlebbarer werden, auch durch die Bereitstellung von Geld zur Lösung unserer Probleme!
 
Nur ein scheinbar nebensächliches Beispiel: Gazprom hat noch keine KWh verkauft und erscheint gleichwohl auf der Brust von Schalke 04! Vattenfall dagegen ziert sich vor einer Ausweitung seines Engagements für Energie Cottbus. Die Wirkung dieses Vereins für das Selbstwertgefühl einer ganzen Region wird unterschätzt, ebenso der Stolz darauf, als „Kleiner“ gegen „Große“ zu bestehen.
Wer eine Region umgräbt und seinen Nutzen daraus zieht, muss sich in Zukunft tiefer als bisher darin verwurzeln! Das betrifft auch die Möglichkeit, die dieser Konzern weltweit hat, neue Investoren zu werben, aber auch innovative Entwicklungen bei uns und nicht woanders anzusiedeln.
 
Noch einmal ausdrücklich gesagt: Ich stelle mich nicht gegen die Gewinnung und Verstromung von Braunkohle. Sie wird nach meinem Dafürhalten für die Energiewirtschaft der Bundesrepublik unverzichtbar sein und in unserer Region liegt sie nun mal so günstig wie sonst nirgendwo. Gleichwohl erstarre ich aber nicht vor Dankbarkeit und Ehrfurcht für die bisherige wirtschaftliche Betätigung Vattenfalls und deren Unterstützung in vielen Bereichen. Ohne eigenen Nutzen hätte und wird sich kein Konzern in unserer Region betätigen! Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete, und ich tragen ein Mehr an Verantwortung als nur das für das Wohl und Weh eines zugegebenermaßen wichtigen Konzerns! Wir tragen Verantwortung für 135.000 Menschen - und davon ist eben nur noch der geringste Teil in der Kohle beschäftigt.
 
Wir ... auch der Bund, auch das Land ... wir alle sind verpflichtet, auch außerhalb der Kohle etwas für die wirtschaftliche Entwicklung der Lausitz zu tun, zumindest mehr als anderswo, weil auch die Belastungen hierzulande größer sind!
 
In diesem Zusammenhang geht es auch um ein Mehr an finanzieller Unterstützung für Forschung und Entwicklung! Die Brandenburgische Technische Universität und die Fachhochschule Lausitz sind zu befähigen, sich innovativer Herausforderungen zu stellen, wie etwa der Kohlechemie und der Entwicklung CO²-freier Kraftwerkstechnik! Besonders die Einbeziehung ausländischer Studenten z.B. aus China ist langfristig gesehen die Chance, mit solchen Absolventen die Handelspartner von morgen für unsere Region zu akquirieren.
 
Mag man es als übertrieben ansehen, aber was anderenorts für die wirtschaftliche Entwicklung das Erdöl ist, muss für Spree-Neiße die Braunkohle werden! Beides - Erdöl und Braunkohle - sind Energieträger, die Anderen erst eine wirtschaftliche Entwicklung ermöglichen! Erdölfördernde Länder profitieren davon. Warum wir nicht??!! Das, meine Damen und Herren, muss sich ändern! Spree-Neiße darf nicht zum bloßen „Kohlekeller“ der BRD werden!
 
Daher verlange ich einen juristisch wasserdichten Vertrag zwischen Bund, Land, Bergbautreibenden und dem Landkreis Spree-Neiße! Einen Vertrag über Ausgleichsmaßnahmen für Belastungen aus zukünftiger Braunkohleförderung im Kreisgebiet. Als Kreistag und als Kreisverwaltung sollten wir uns kurzfristig auf berechtigte und durchsetzbare Forderungen verständigen, die Aufnahme von diesbezüglichen Verhandlungen fordern und die Ergebnisse in einem Spree-Neiße-Kohlevertrag fixieren! Vorher geht mit unserer Zustimmung kein Spaten in die Erde!!
 
Ihr Einverständnis vorausgesetzt, werde ich mich außerdem umgehend mit den zehn vom Braunkohlebergbau betroffenen Landkreisen der Bundesrepublik Deutschland in Verbindung setzen, um mit diesen Erfahrungen auszutauschen.
Gleiches gilt für die Kontaktaufnahme zur Stadt Cottbus, denn auch sie ist – zwar nicht direkt durch die Abbaggerung einzelner Ortsteile, aber dennoch sekundär - von den Auswirkungen des Braunkohlebergbaus betroffen. Es wird mit dem Oberbürgermeister der Stadt und mit den Stadtverordneten zu reden sein, um auch sie für unsere Positionen zu gewinnen. Es ist eine alte Weisheit, die noch heute gilt: Nur Einigkeit macht stark!
 
Meine Damen und Herren,
wir haben uns diese Situation nicht ausgesucht! Auch mir wäre es lieber, wir könnten uns mit erfreulicheren Themen befassen. Und doch müssen wir nun das Beste daraus machen! Zeigen wir, dass wir ein großes Potenzial an ENERGIE haben – nicht nur in unserer Erde!!!


Dieter Friese, Landrat des Landkreises Spree-Neiße
Seite zurück